Postkarten-Prosa 07/08 Das Silvestermenü
Nicht nur in Cadaqués,
aber dort besonders
gibt sicher Heiner dem Genuss hin.
Heiner ein Mann meines Alters, ein Hobbykoch mit Ambitionen.
Er hat das Rauchen aufgegeben, um besser schmecken zu können,
verzichtet auf Salz zugunsten frischer Kräuter
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und legt beim tranchieren, filetieren und garnieren eine Fingerfertigkeit an den Tag,
die er in der Jungend oft schmerzhaft vermissen ließ.
Gourmets sind in Cadaqués gut aufgehoben.
In den engen, dunklen Gassen ist eine feine Nase der beste Kompass.
Versuche es nicht vor acht und füge dich!
Im Casa Nun oder Casa Anita wird "el traditionell" und auf Gas gekocht und Wirt weiß, was wozu schmeckt.
Wir werden satt, doch Heiner verrät uns, dass wir dem Größten ganz nah sind.
Auf schmalen Pfaden entlang der Steilküste Richtung Roses,
erreichst du den kulinarischen Olymp das El Bulli Adrias Molekularküche.
Wir müssen draußen bleiben.
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Zu Silvester will Heiner für uns kochen,
wenn wir mit anfassen.
Er kopiert Schatzkarten aus seinem ledergebundenen Notizbuch
und schickt uns in alle vier Himmelsrichtung in die Ebene, die Berge und Täler, frische Zutaten kaufen.
Mein Auftrag führt mich nach Port de la Selva.
Am Hafen pflücken mir die Fischer, zapplige Kopffüßer und gepanzerte Krusten und Schalentiere lebend aus dem Netzen.
In der Küche werden wir zu Heiners Marionetten.
Er vertraut mir Psycho an seine wertvollste Klinge.
Ein Messer so scharf das Zwiebeln weinen.
Streifst du mit der Spitze zärtlich über einen Putenschenkel, öffnet sich das Fleisch,
und klafft dir einladent Rosa entgegen. Von all den verdienten Komplimenten aus Kennermündern
während des Mahles und danach wog wohl "das unübertrefflich" am schwersten.
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Heiner verabschiedet sich leise und fast unbemerkt mit einer Flasche Wein aus der geselligen Runde.
Später entdecke ich ihn auf der Couch.
Viel ist nicht mehr von im übrig.
Er scheint ist den Polstern zu versinken. Heiner war nie ein Leichtgewicht und mit den Jahren,
dem guten Essen und Trinken hat er sich einige Pfunde aufgeladen.
Ich spiele sein Lieblingslied, ein Chanson von Edit Piaf,
nicht ahnend, dass ich ihm damit ein Geständnis entlocke:
"Wilde Feigen! Ich sehne mich doch nur nach dem Geschmack von frischen, wilden Feigen,
die ich als junger Mann wenige Male kosten durfte. Wilde Feigen mit einer
Prise Salz und einer großen Portion Neugier, aber für das Rezept bin ich zu Alt"
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